M. Eberli: Gefährliche Filme – gefährliche Zensur

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Titel
Gefährliche Filme – gefährliche Zensur?. Die Filmzensur im Kanton Luzern im Vergleich mit den Filmkontrollen der Kantone Zürich und Waadt


Autor(en)
Eberli, Martin
Reihe
Luzerner Historische Veröffentlichungen 44
Erschienen
Basel 2012: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Im Jahre 1895 führten die Gebrüder Louis und Auguste Lumière in Paris erstmals ihren «Cinématographique» öffentlich gegen Entgelt vor. Der Film verbreitete sich vor dem Ersten Weltkrieg sehr rasch. In Luzern gab es damals bereits sechs Kinobetriebe, vor allem in der Nähe der grossen Hotels. Schon früh setzten sich Pädagogen und Sozialreformer mit dem neuen Medium auseinander, dem sie eine enorme Wirkungsmacht zuschrieben. Aus diesen Kreisen entstanden im protestantischen Raume Sittlichkeitsvereine, die sich gegen die schlechte Lektüre profilierten. Auf katholischer Seite war Abbe Josef Alexis Joyce in Basel ab 1902 ein Pionier der Filmvorführung.

Anfänglich platzierten die öffentlichen Diskussionen den Film weitgehend in den Schmutz- und Schundbereich. Deswegen traten Vereine wie die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft und der Schweizerische Katholische Volksverein an, um ihre Wertvorstellungen durchzusetzen. Sie forderten bald eine staatliche Filmzensur. Kantonsregierungen und Parlamente erfüllten ihren Wunsch. Der evangelische Pfarrer Albert Wild prägte die ersten negativen Urteile gegen den aufkommenden Film wie etwa «Der Film verdirbt die Jugend » oder «Der Film leitet zu Verbrechen an».

Anfänglich waren vor allem bürgerlichreformierte Kreise gegen Schundfilme tätig. Gegen Ende der Zwanzigerjahre schlossen sich katholische Kreise diesem Kampfe an, so etwa Alphons Hättenschwiller, der Generalsekretär des Schweizerischen Katholischen Volksvereins in Luzern. Sowohl die Stadt wie der Kanton Luzern verhielten sich als Bewilligungs- und Kontrollinstanzen dem neuen Medium gegenüber misstrauisch. Sie zwangen Kinounternehmen mit feuerpolizeilichen Vorschriften sogar zu Betriebsschliessungen. Die Zensur war ein wichtiges Mittel, um das Kino und seine Programme zu überwachen. Man unterscheidet Präventivoder Vorzensur und Repressions- oder Nachzensur. In den Kantonen Waadt und Luzern wurden beide Formen praktiziert. Hollywood spielte auf dem weltweiten Filmmarkt eine wichtige Rolle. Hier gab es strenge Vorschriften. Die kantonale Zensurkommission handelte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es sind eigentlich nur wenige Akten über ihre Tätigkeit erhalten. Hintergründe der Kinoverbote sind nur im Falle von Rekursen breiter dokumentiert.

Die katholische Kirche veröffentlichte mehrere Stellungnahmen zum Film. Papst Pius XI. lobte 1936 in der Enzyklika «Vigilante cura» die erfolgreiche Initiative katholischer Amerikaner zugunsten einer «moralischen» Hebung des Films und dankte dem amerikanischen Episkopat für seinen «Kreuzzug» im Kampf gegen «unmoralische » Filme. Sein Nachfolger Pius XII. schloss mit seinem Rundschreiben «Mirando prorsus» 1957 an die Enzyklika von 1936 an. Er empfahl die Nutzung der neuen Medien unter Beachtung des «christlichen Glaubens und des natürlichen Sittengesetzes».

Der bedeutendste Zensor im Kanton Luzern war Dr. jur. Hans Korner. Er promovierte 1937 an der Universität Freiburg i. Ue. mit der Dissertation «Das Recht der freien Meinungsäusserung im Verhältnis zu den Forderungen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Sittlichkeit, mit besonderer Berücksichtigung der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts». Er wurde dadurch zu einem juristischen Experten auf dem Gebiet der Meinungsäusserungsfreiheit. Als Filmzensor amtete er von 1954–1971. Wichtigstes Organ der katholischen Filmberatung wurde der Filmberater unter der Redaktion von P. Charles Reinert SJ.

Die Luzerner Filmzensur arbeitete mit jenen der Kantone Zürich, Waadt und Wallis zusammen. Zensuriert wurden Filme weitaus am meisten wegen sexueller Normüberschreitungen. Häufig urteilten die kantonalen Zensoren einheitlich, gelegentlich war ein Kanton grosszügiger als der andere.

Überdurchschnittlich viele skandinavische Filme blieben im Raster der Zensur hängen. Daneben geriet der Kriminalfilm als «Verbrecherschule» immer wieder ins Visier der Zensur. Gelegentlich wurden Filme als Verletzung religiösen Empfindens betrachtet und deswegen zensuriert. Zensurierungen aus politischen Gründen erfolgten vor dem Zweiten Weltkrieg. Filme aus dem Ostblock wurden nach 1945 kaum importiert und folglich nicht angezeigt.

Insgesamt werden im vorliegenden Buch elf Fallbeispiele von zensurierten Filmen näher erläutert, z. B. Frauennot und Frauenglück (1929), wo die Darstellung einer Geburt auf Protest stieß. Die Dreigroschenoper (1931) fiel in Luzern der Zensur zum Opfer. Der italienische Film «Ossessione» (1943) wurde in der Waadt verboten, während er in Luzern kurz laufen konnte. Der Einbruchsfilm «Du rififi chez les hommes» (1951) wurde verboten, weil das Räuberduo Ernst Deubelbeiss und Kurt Schürmann mit einem brutalen Raubmord schweizweit für Entsetzen gesorgt hatte. Neben Luzern verweigerte auch der Kanton Zürich die Vorführung, während die Waadt diese Filme passieren liess. Der Film «Divorzio allʼitaliana» (1941) war eine polemische Satire auf die fehlende Scheidungsmöglichkeit im italienischen Zivilrecht. Ein sizilianischer Adeliger trachtet, seine Gattin loszuwerden, um seine Cousine Angela zu heiraten. Den einzigen Weg sieht er darin, seine Ehefrau mit einem Liebhaber zu verkuppeln, als betrogener Ehemann dann beide zu töten, zur Strafe drei Jahre ins Gefängnis zu gehen, um schliesslich seine verehrte Angela heiraten zu können. Mit diesem lächerlich geringen Strafmass sanktionierte die italienische Justiz den Ehrenmord bis zur Einführung der zivilen Ehescheidung. Zürich und die Waadt liessen den italienischen Streifen laufen, während Luzern ihn verbot.

In den Sechzigerjahren wurde es immer schwieriger, die Filmzensur aufrechtzuerhalten. Nachdem das Zürcher Stimmvolk am 7. Februar 1971 das neue Filmgesetz mit starker Mehrheit angenommen hatte, zogen die Luzerner am 28. November des gleichen Jahres nach und schafften die Filmzensur ab. Gründe für die Aufhebung der Filmzensur gab es verschiedene: Im Zeitalter der Mobilität war es nicht ohne weiteres einzusehen, weshalb ein Film in Luzern verboten, in Zürich aber als unbedenklich zugelassen wurde. Dazu war das immer stärker aufkommende Fernsehen nationaler und ausländischer Herkunft nicht mehr mit einer kantonalen Zensur in Schranken zu halten.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Martin Eberli, Gefährliche Filme – gefährliche Zensur? Die Filmzensur im Kanton Luzern im Vergleich mit den Filmkontrollen der Kantone Zürich und Waadt, Basel, Schwabe AG Verlag, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 479-480.

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